Kunst- und Naturwissenschaftlerin Dr. Nicole Fritz im Interview mit Wynrich Zlomke anlässlich der Ausstellung 108 Ravensburger im Kunstmuseum Ravensburg
NF: Wie bist du zur Fotografie gekommen?
WZ: Die Fotografie hat mich eigentlich schon immer interessiert. Schon als kleiner Junge hatte ich eine Pocketkamera, die ich immer bei mir hatte. Die hatte schon zwei verschiedene Brennweiten. Und mit dieser bin ich dann auf Entdeckungsreise durch Ravensburg gegangen. Damals habe ich beispielsweise alle Türme der Stadt fotografiert. Es kam auch vor, dass ich mir dann heimlich die große Spiegelreflexkamera vom Vater geholt habe und mit dieser losgezogen bin. Auch während der Schulzeit habe ich immer fotografiert. Interessiert haben mich auch schon damals vor allem Menschen. Dann gab es Unterbrechungen, da ich beruflich einen anderen Weg gegangen bin und längere Zeit in Spanien war. Zurückgekommen auf das Fotografieren bin ich dann, als ich ein halbes Jahr in Indien war. Dort sind hauptsächlich Porträts und Alltagsszenen entstanden. Dann kam der Moment, an dem ich beschlossen habe, dass ich mein Geld nur noch mit der Fotografie verdienen möchte.
NF: Also eine Art Berufung im wahrsten Sinne des Wortes ?
WZ: Ja, es war, als ob ein neues Leben für mich beginnt. Seit fünf Jahren bin ich mittlerweile als professioneller Fotograf selbstständig tätig.
NF: Was würdest du als charakteristisch für deine Art der Fotografie bezeichnen ?
WZ: Zunächst einmal orientiere ich mich nicht an einem Mainstream, sondern mache das so, wie ich es für richtig empfinde. Wenn ich auf eine Situation treffe, die ich fotografiere, dann kommt es mir zunächst einmal darauf an, die Stimmung, die an diesem Ort herrscht, einzufangen.
NF: Gab es für dich Orientierungspunkte auf dem Weg, deine Art der Fotografie zu finden, d. h. Fotografen, deren Werk, dich besonders angesprochen hat ?
WZ: Ja, Helmut Newton ist beispielsweise ein großes Vorbild für mich und vor allem natürlich auch der französische Fotograf Jeanloup Sieff.
NF: Was genau hat dich daran angesprochen ?
WS: Helmut Newton hat ja alles vorgeplant. Letztlich sind dann aber beim Fotografieren doch die richtigen Momente einfach passiert. Vor einiger Zeit habe ich darüber hinaus einen Bildband des französischen Fotografen Jeanloup Sieff gefunden. Er ist mir eigentlich noch näher. Sieff schrieb selber zu seinen Fotografien. Das, was er dazu schreibt, entspricht häufig meinem eigenen Empfinden während meiner Arbeit. Er hat ein großes Gespür für die emotionale Intensität des jeweiligen Augenblickes gehabt und hat es verstanden, das nicht Offensichtliche hinter einer Situation einzufangen. Die Oberfläche anzukratzen und hinter eine Situation zu schauen. Das, was hinter der Wirklichkeit liegt, ist auch in meinem aktuellen Projekt 108 Ravensburger ein Thema. Denn ich kenne die Menschen, die ich fotografiere, ja bereits aus meinem Alltag. Da es sich bei ihnen auch um Personen des öffentlichen Lebens handelt, begegne ich diesen Menschen auf neue Art und Weise. Als ich damit begann, mich mit dem Projekt 108 Ravensburger auseinanderzusetzen, hatte ich ursprünglich die Idee, die Leute vor einem grauen Tuch in der Stadt zu fotografieren. Da war ich natürlich nicht der Erste, der auf diese Idee kam. Ich entdeckte, dass bereits der Fotograf Stefan Moses , angeregt von Irving Penn, Menschen in ihrer Arbeitsumgebung vor einem grauen Tuch fotografiert hat. In seiner Reihe Deutsche hat Moses Persönlichkeiten im Wald fotografiert. Das war für mich sehr inspirierend. Ich suchte nach einem anderen Kontext für die Darstellung der Menschen des 21. Jahrhunderts als die Fotokünstler Stefan Moses oder auch August Sander. Der Mensch isoliert, vor neutralem Hintergrund, das passt nicht mehr. Da passiert das nicht, was ich suche. Mich hat interessiert, wie der Mensch in dem Umfeld des Waldes anfängt zu leben. Der Mensch verändert sich, ich könnte ihn als Baby, Erwachsenen und alten Menschen festhalten. Der Wald verändert sich jedoch nicht, der sieht immer gleich aus. Da stehen Bäume, die haben schon fünf Generationen gesehen. Das ist ein anderer Zeitraum.
NF: Ja, das ist schön ausgedrückt.
WZ: Ich habe gerade ein kommerzielles Projekt im Bereich der Werbefotografie auf Ibiza abgewickelt. Da ist mir auch aufgefallen, wie die Models auf ihre Umgebung reagieren, wie da ein Wechselverhältnis zwischen den Personen und ihrer Umgebung entsteht. Die werden auf einmal ganz ruhig angesichts des Meeres. Die im Rahmen des Projektes 108 Ravensburger Porträtierten fangen auch plötzlich an, sich im wahrsten Sinne des Wortes an der Stelle zu verwurzeln, an der sie stehen. Sehr schön zu sehen ist dies beispielsweise auf dem Porträt der Schauspielerin Jutta Klawuhn. Sie gräbt sich mit ihren Füßen regelrecht in den Waldboden ein.
NF: Kann man sagen, dass der Mensch und seine Umgebung so etwas wie ein roter Faden in deiner Arbeit ist ?
WZ: Ja, so könnte man es ausdrücken.
NF: Kommen wir jetzt ausführlicher auf das Projekt 108 Ravensburger zu sprechen. Was war der Anlass für dieses Vorhaben?
WZ: Ein Anlass dieses Projekt so zu machen, war zunächst ein fotografisches Interesse. Wir sind ja heute visuell mit den Bildern, die wir um uns haben, regelrecht überfrachtet. Mit den Mitteln der Fotografie gerade das Gegenteil zu erzeugen und auf das Einfache zurückzukommen, das hat mich interessiert. Ich arbeite im Studio beispielsweise mit möglichst wenigen Hilfsmitteln, also nur eine Lampe, es gibt ja auch nur eine Sonne. Oder ich nehme die Spiegelung des Wassers, die gegebenen Bedingungen auf. Auch bei dem Projekt 108 Ravensburger war dies der Fall. Egal was für ein Wetter war, das waren dann eben die Bedingungen, unter denen das jeweilige Porträt entstand.
NF: Wann hast du mit dem Projekt 108 Ravensburger angefangen ?
WZ: Das war schon im Jahr 2010. Als Ersten habe ich dann bewusst den Karikaturisten Rainer Weishaupt fotografiert. Er hat damals sein Symbol der Maus auf einen Baumstumpf gemalt. Von da an war mir klar, dass jeder etwas mitbringen sollte.
NF: Warum hast du dich gerade für 108 Ravensburger entschieden ?
WZ: Es ging eigentlich für mich darum, mich mit Ravensburg als meine Heimat auseinanderzusetzen. Ich hatte immer eine etwas zwiespältige Beziehung zu meinem Heimatort. Ich habe diesen oft als zu eng empfunden und deshalb auch nicht zufällig immer wieder im Ausland gelebt. Aber es gab auch den Moment, wo ich zu meinen Wurzeln zurückkehren wollte.
NF: Hast du die Beteiligten dann konkret gebeten, ein bestimmtes Symbol mitzubringen, mit dem sie sich identifizieren ?
WZ: Ja, manchmal hat sich das aber auch aus der Situation heraus ergeben.
NF: Wie hast du eigentlich die Menschen für das Projekt gefunden ?
WZ: Das hat sich von Fall zu Fall entwickelt, meist waren es Begegnungen. Es konnte aber auch sein, dass einer der Porträtierten wiederum eine andere Person vorgeschlagen hat. Das hat sich eigentlich ohne viel Planung so ergeben.
NF: Wichtig ist für dich auch der Moment der Begegnung mit dem porträtierten Menschen ?
WZ: Ja, da benötigt man einen gewissen Freiraum und Muße, das kann nicht unter Hektik geschehen. Mir ging es auch darum, die Gleichheit der Personen, die am Projekt mitwirken, zu zeigen, jenseits ihres sozialen Status. Ich bin auf der Suche nach dem Menschen hinter der Fassade. Das möchte ich heraus kitzeln, oft passiert das dann auch automatisch in dieser Umgebung des Waldes. Man merkt dann die- oder derjenige wird auf sich selbst zurückgeworfen. Und ich gehe da in gewisser Weise auch mit. Es ist ein gegenseitiger Annäherungsprozess, es ist eine Art stiller Dialog. Mal mehr, mal weniger. Auch das Drumherum fängt an, sich zu entwickeln, darauf zu reagieren, auf den, der da steht. Spannend ist natürlich auch der Prozess, wie man die Plätze findet, an denen sich die Menschen aufstellen.
NF: Den Ort zu finden, an dem sich der Mensch öffnet ?
WZ: Ja, genau die Stelle, an der er oder sie zur Ruhe kommen kann. Die Menschen lösen sich dann fast auf in der Umgebung; und das, was sie mitgenommen haben, ist dann das, was sie mit ihrem Alltag verbindet. Sie halten sich sozusagen daran fest. Das gibt eine gewisse Sicherheit auf dieser Reise. Man kann es den Menschen auch richtig ansehen, wenn sie in einen solchen Zustand des In-sich-gekehrt-Seins regelrecht hineinfallen und sich ein Stück Seele zeigt.
NF: Mit so einer zweiten Aufmerksamkeit ?
WZ: Ja, genau, ich achte immer mehr auf das Drumherum, das, was da noch ist, es geht bei meinem Fotografieren nicht so sehr um das Motiv an sich, sondern immer auch um das, was noch hinter der Wirklichkeit ist.
NF: Erinnerst du dich an besondere Momente im Rahmen des Projektes ?
WZ: Da gibt es natürlich viele Anekdoten. Die Menschen haben bei diesem Projekt auch viel über sich erzählt. Manche Geschichten habe ich aufgeschrieben. Aber mir geht es ja gar nicht so sehr um das Individuum.
NF: Es geht dir also gar nicht darum, das Ego des Einzelnen zu betonen ?
WZ: Nein, fotografiert werden ist zwar ein exhibitionistischer Akt, mir geht es jedoch nicht darum, den Status des Einzelnen abzubilden. Die Grundidee für mich ist, dass man den Menschen gar nicht mehr ansieht, was für eine gesellschaftliche Stellung sie haben. Dazu trägt ein fotografischer Trick bei, den ich anwende. Um diesen neutralen, ruhenden Blick auf den Menschen zu erhalten, fotografiere ich alle Porträts mit demselben Bildwinkel, die Porträts sind alle in einem 47- Grad-Bildwinkel und derselben Brennweite aufgenommen.
NF: Die Intention deines Projektes ist also, dass du das Individuelle in etwas Überindividuellem auflösen willst und in unserer individualisierten Gesellschaft den Einzelnen sozusagen wieder als Teil des Ganzen zeigst ?
WZ: Ja, genau.